Rhino in Etosha West –
Drei Scheinangriffe sind zu viel des Guten
Drei Scheinangriffe sind zu viel des Guten
Hätten wir damals schon das Video eines Nashorns gesehen, das zweimal Anlauf nimmt und gegen ein Auto läuft, hätte ich sicher weniger Angst um unser Auto und auch um meine Gesundheit gehabt, als uns am 28.09.2015 gegen Mittag zum zweiten Mal ein Rhino deutlich zu nahe kommt - keine 20 Stunden nach der ersten aufregenden Begegnung mit einem Artgenossen. Aber im September 2015 kannten wir das Video unserer "Leidensgenossen" noch nicht. Auch wenn wir es schon gekannt hätten, wäre unser zweiter Game Drive in Etosha West trotzdem noch ziemlich aufregend geworden. Aber alles schön der Reihe nach...
Beeindruckende Tiervielfalt
Der Westteil des Etosha Nationalparks wartet auch am zweiten Tag mit einer beeindruckenden Tierwelt auf. Wir sehen ab 10 Uhr innerhalb kürzester Zeit einen Raubvogel, fünf Springbocks, von denen zwei miteinander kämpfen, mehrere Giraffen, ein Warzenschwein, das über die Straße läuft, eine große Zebraherde in der Ferne und fünf Zebras mit zwei Jungtieren, die sofort weglaufen, als wir auftauchen. Die Tiere in Etosha West sind Autos noch nicht so gewöhnt wie im restlichen Park.
Gegen 11 Uhr entdeckt Manfred einen Löwen, der in einiger Entfernung unter einem Baum liegt. Wenige Meter entfernt kauert ein Artgenosse unter einem weiteren Baum. Auf der anderen Straßenseite haben zwei Kudus und ein Oryx ein schattiges Plätzchen gefunden. Es ist schon wieder ziemlich heiß und wir sind ziemlich spät dran. Aber wir mussten leider noch tanken. Aber das war auch ganz interessant... Am Wasserloch haben sich drei Giraffen, zahlreiche Oryxe, Kudus, Springbocks und 10-15 Strauße versammelt. Kurz darauf gesellen sich noch zwei Warzenschweine, weitere Oryxe und eine Herde Zebras dazu.
Vorsicht Rhino!
Auf dem Weg zu Wasserloch Duikerdrink, das etwas 10 km von der Durchgangsstraße entfernt liegt, kommt uns ein Fahrzeug entgegen. Der Fahrer signalisiert uns, dass wir anhalten sollen. Wir erfahren, dass sich am Wasserloch ein Rhino aufhält, das sie erst im letzten Moment gesehen haben und das scheinbar etwas nervös reagiert hat. Danke für die Information! Wir werden sehr vorsichtig sein!
Am liebsten würde ich auf der Stelle umdrehen. Aber das geht nicht. Erstens können wir auf der schmalen Piste nicht wenden. Und zweitens können wir uns doch nicht die Chance entgehen lassen, doch noch ein Video von einem Rhino zu drehen, das ... Ich denke den Gedanken nicht zu Ende. Mir reicht das Nashorn vom Vortag, das auf unser Auto zugekommen ist und erst ein paar Meter vor meiner Seite stehen geblieben ist. Ein zweites Mal brauche ich das nicht unbedingt. Aber natürlich ärgert es uns immer noch ein wenig, dass wir das nicht gefilmt haben. Wir hätten nie damit gerechnet, eine zweite Chance zu bekommen. Und jetzt bekommen wir vielleicht sie doch noch – keine 20 Stunden später! Wir fahren ganz langsam weiter und behalten die Umgebung im Auge.
Das Wasserloch kommt in Sicht. Viele Oryxe und Strauße. Kein Rhino in Sicht. Das steht hinter einem Baum. Rechts vom Weg. Das Wasserloch ist auf der linken Seite. Also fahren wir langsam weiter und drehen in gebührendem Abstand von dem Koloss um. Wir stellen den Motor ab und bringen unsere Kameras in Position. Das Tier ist beeindruckend groß. Mir kommt dieses Rhino noch deutlich größer vor als der etwas nervöse Artgenosse vom Vortag. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es noch deutlich näher da ist.
Scheinbar ist das Rhino doch nicht so entspannt...
Wir warten ab. Der Dickhäuter macht einen ziemlich relaxten Eindruck und nimmt uns scheinbar gar nicht zur Kenntnis. Das ist erst einmal beruhigend. Sicherheit geht vor, gute Bilder helfen uns gar nichts, wenn uns das Ungetüm ins Auto läuft. Nein, nicht weiter denken! Rhino beobachten und fotografieren.
Das Nashorn dreht den Kopf und schaut zu uns her.
Und es schaut wieder weg. Sehr gut.
Rhino bleibt entspannt. Wir nicht.
Rhino schaut wieder her – diesmal etwas länger. Und wieder weg.
Die Spannung steigt. Rhino bleibt gelassen.
Wir werden immer unruhiger.
Rhino bleibt entspannt. Wir nicht.
Rhino schaut wieder her – diesmal etwas länger. Und wieder weg.
Die Spannung steigt. Rhino bleibt gelassen.
Wir werden immer unruhiger.
Was sollen wir jetzt machen? Abwarten? Noch ein paar Fotos und weiter fahren? Wir stehen in sicherem Abstand HINTER dem Tier. Wenn wir jetzt ein paar Meter weiter vor fahren würden, käme es sicher wieder aufs Auto zu... Und wir könnten das verpasste Video vom Vortag nachholen... Nein! Bloß nicht weiter denken! Das wäre Wahnsinn! Wir sind froh, dass am Tag zuvor alles gut gegangen ist. Der Schrecken sitzt immer noch tief.
Außerdem macht man das sowieso nicht. Tieren den Weg absperren. Außer wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Wie 2013 am Horseshoe im Bwawata Nationalpark im Caprivi (Sambesi Region) mit der Elefantenherde, die vom Fluss zurück gekommen ist, als wir gerade auf der Tiefsandpiste vorbei gefahren sind. Damals sind wir noch vorbei gekommen, bevor die Leitkuh auf der Piste war. Gerade noch. Die Elefanten waren nicht gerade erfreut. Aber es ist keiner auf unser Auto zugekommen oder uns nachgelaufen.
Natürlich bleiben HINTER dem Tier stehen. Wir sind doch nicht wahnsinnig! Wir versperren dem Nashorn NICHT den Zugang zum Wasserloch. Alles ist gut. Das Rhino kann ganz gemütlich VOR unserem Auto vorbei zum Trinken gehen. Tut es aber nicht. Stattdessen dreht es wieder den Kopf in unsere Richtung und schaut her.
Und es schaut nicht mehr weg. Jetzt beobachtet es also uns. Tourie-Watching.
Wie wirken wir auf das Rhino?
Ich habe mir schon oft überlegt, wie wir auf Wildtiere wirken. Also Autos, aus denen Kameras und Teleobjektive heraus ragen. Momentan will ich gar nicht so genau wissen, wie wir gerade auf dieses Nashorn wirken. Als Bedrohung? Eindringlinge? Ein größeres Tier, das ihm sein Revier streitig machen will?
Das Rhino setzt sich in Bewegung – Richtung Wasserloch. Erleichterung. Wir atmen auf. Schnell ein paar Fotos und ein nettes kleines Video, wie es da vorne am Auto vorbei läuft. Noch ein paar Fotos vom Rhino am Wasserloch mit all den anderen Tieren. Und dann nichts wie weg hier. Ich fotografiere, Manfred filmt.
Teleobjektive unerwünscht
Das Rhino dreht plötzlich auf halbem Weg um und kommt auf unser Auto zu.
Und schon wieder auf meiner Seite! Ich glaube es einfach nicht!
Das kann doch nicht wahr sein! Wieso geht der nicht einfach weiter?!
Oder besser gesagt: Wieso bleibt es nicht stehen?
Das Rhino bleibt stehen.
Und schon wieder auf meiner Seite! Ich glaube es einfach nicht!
Das kann doch nicht wahr sein! Wieso geht der nicht einfach weiter?!
Oder besser gesagt: Wieso bleibt es nicht stehen?
Das Rhino bleibt stehen.
Ich richte die Kamera mit dem Teleobjektiv auf den potentiellen Angreifer.
Das Rhino schnaubt. Ich verstehe.
Das Rhino schnaubt. Ich verstehe.
Ich lasse die Kamera sofort sinken und überlasse das ab sofort Manfred. Der sitzt neben mir und filmt. Mit einer deutlich kleineren Videokamera, die nicht wie ein bedrohliches Etwas aus dem Seitenfenster ragt und genau auf das Rhino zielt. Ab jetzt gibt es keine Fotos mehr.
Drei Scheinangriffe (Video)
Das Rhino nimmt Anlauf. Scheinangriff. Staub wirbelt auf.
Es bleibt stehen. Schaut.
Nimmt erneut Anlauf. Zweiter Scheinangriff.
Wieder eine Staubwolke.
Bleibt wieder stehen und starrt uns an.
Langsam werden wir extrem nervös.
Es bleibt stehen. Schaut.
Nimmt erneut Anlauf. Zweiter Scheinangriff.
Wieder eine Staubwolke.
Bleibt wieder stehen und starrt uns an.
Langsam werden wir extrem nervös.
Das Nashorn vom Vortag ist WÄHREND des Scheinangriffs Richtung Wasserloch gelaufen. Das war scheinbar nervös. Der Kollege hier ist eher angriffslustig. Manfred will den Motor anlassen. Ich habe Angst, dass das Rhino dann los rennt, mit voller Wucht in unser Auto rein knallt und mit dem mächtigen Horn die Tür auf der Beifahrerseite durchbohrt. Auf meiner Seite.
Dritter Scheinangriff. Noch näher als vorher. Noch mehr Staub. Dann verharrt das Tier. Nur wenige Meter vor mir.
Keine Ahnung, was mir in diesem Moment durch den Kopf geht. Ich weiß es einfach nicht mehr.
Ich höre Manfreds Stimme: „Das war ein Scheinangriff!"
„Einer?! Das waren DREI Scheinangriffe!"
Und der Angreifer steht da immer noch rum. Direkt vor mir. Auge in Auge mit einem angriffslustigen Rhino.
„Einer?! Das waren DREI Scheinangriffe!"
Und der Angreifer steht da immer noch rum. Direkt vor mir. Auge in Auge mit einem angriffslustigen Rhino.
Und nur ein wenig Blech dazwischen. Nicht viel, was uns schützen könnte.
Nach unendlich langen Momenten setzt sich der Koloss wieder in Bewegung. Vom Auto weg. Grenzenlose Erleichterung. Aufatmen. Scheinbar will er HINTER dem Auto vorbei gehen. Auch recht. Dann gibt es halt keine Fotos und kein Video vom Rhino vor dem Auto. Hauptsache, wir kommen hier heil raus. Und ohne Nashorn-förmiges Loch in der Beifahrertür.
Surreale Szenerie am Wasserloch
Wir schauen Richtung Wasserloch, wo eigentlich langsam das Rhino auftauchen sollte. Tut es aber nicht. Nur Huftiere, Oryxe und Zebras. Die schauen alle ganz gebannt zu uns rüber. Kein einziges Tier trinkt mehr. Irgendwie wirkt diese Szene surreal. Tiere am Wasserloch, die ein Auto und ein Rhino beobachten. Kampf der Giganten. Ein Big Five legt sich mit einem der ganz Großen an, die hier immer wieder auftauchen und dann wieder verschwinden, ohne ans Wasser zu kommen. Wer wird da wohl gewinnen? Wir sind so perplex, dass wir gar nicht ans Fotografieren denken. Momentan haben wir ich ganz andere Sorgen.
Wo ist das Rhino geblieben?
Wo ist das Rhino geblieben? Es muss noch hinter unserem Auto sein... Wir werfen einen vorsichtigen Blick in den Seitenspiegel auf der Fahrerseite und trauen unseren Augen nicht. Schreck lass nach! Der Koloss kommt auf unser Auto zu. Von hinten. Diesmal auf Manfreds Seite.
Auch nicht besser. Nein, noch schlimmer. Manfred ist der Fahrer. Wenn dem jetzt etwas passiert, muss ich – Typ „chronische Beifahrerin" - ein Auto, bei dem immer wieder die Kupplung hängen bleibt, aus einer Allradpiste raus manövrieren... Soweit kommt es nicht. Das Rhino dreht ab. Richtung Wasserloch. Endlich. Geht rüber, als wäre nichts gewesen. Wir atmen auf und fahren weiter.
Zwei Rhinos am Auto innerhalb von 20 Stunden sind zu viel
Zwei Rhinos viel zu nah am Auto innerhalb von 20 Stunden. Das erste innerhalb der ersten Stunde im Etosha Nationalpark. Eigentlich würde das fast reichen für diesen Urlaub. Aber wir sind noch drei Wochen da. Davon eine ganze Woche im Etosha Nationalpark. Und anschließend im Caprivi (Sambesi Region) und im Chobe Nationalpark in Botswana.
Aber da gibt es wenigstens keine Rhinos. Schade eigentlich. Das sind wirklich faszinierende Tiere, sehr beeindruckend. Und vom Aussterben bedroht. Im Jahr 2015 wurden bis Oktober im Etosha Nationalpark nach offiziellen Angaben bereits 64 Rhinos getötet. Wohl gemerkt: In Namibias berühmtesten Nationalpark!
Als wir zwei Wochen später unser Video Dan im Caprivi (Sambesi Region) zeigen, vermutet er, dass dieses Tier vielleicht einmal angegriffen worden ist. Das könnte das ungewöhnliche Verhalten erklären. Wir vermuten, dass die Tiere im Westteil des Etosha Nationalparks noch nicht so stark an Autos gewöhnt sind wie im restlichen Park, weil dieser Teil erst seit dem Frühjahr 2014 öffentlich zugänglich ist.
Bei Konflikten mit Tieren ist meistens der Mensch schuld
Vielleicht war das Tier auch irritiert, weil innerhalb kurzer Zeit zwei Autos zu dem etwas abgelegenen Wasserloch gekommen sind. Das Rhino kann sicher nicht unterscheiden, dass es sich um zwei verschiedene Fahrzeuge gehandelt hat. Für ihn ist der Eindringling von vorhin einfach wieder zurück gekommen. Also musste er ihm – also uns - vermutlich zeigen, wer hier das Sagen hat. Und das ist im Idealfall das Tier und nicht der Mensch.
Uns ist bewusst, dass es nur sehr wenige Zwischenfälle mit Tieren gibt und in den meisten Fällen der Mensch schuld ist. Wäre es im Oktober 2013 am Horseshoe im Bwawata Nationalpark im Caprivi (Sambesi Region) tatsächlich zu einem Zusammenstoß mit einem Elefanten gekommen, wäre das auch unsere Schuld gewesen. Auch wenn wir einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen wären.
Rhinos sehen wir zum Glück nur noch aus sicherer Entfernung. Wir freuen uns auch weiterhin über jedes Nashorn, das wir zu Gesicht bekommen. Mit Elefanten haben wir nochmals eine etwas zu nahe Begegnung, die aber auch glimpflich verläuft. Nach den beiden Rhino-Abenteuern jagt uns das aber auch einen gehörigen Schrecken ein. Und wir stellen fest, dass der Schrecken tiefer sitzt als wir dachten – auch der von dem lange zurückliegenden Horseshoe-Zwischenfall.